von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 03/2015
„Alter, was ist Sache?“ So oder so ähnlich ging es wieder los, bevor Dominik auf dem Nachhauseweg von der Schule mal wieder Prügel von einigen seiner Mitschüler bezog. Zuvor hatte er es noch abgelehnt seinen Peinigern das Taschengeld gegen eine „Schutzgarantie“ auszuhändigen. Kein Einzelfall, wie mittlerweile wohl jedermann aufgrund der Medienberichte oder gar eigenem Erleben weiß.
Das Thema ist nicht neu. Deutschlands Schulen sind eben nicht nur Bildungsanstalten, sondern auch Tatorte, was aber natürlich kein ausschließliches Phänomen der Gegenwart ist. Mobbing, Prügeleien, auch Diebstähle, hat es innerhalb von Schulgemäuern schon seit je her gegeben. Was sich geändert hat, ist die Dimension und die Wahl der Mittel. Indiz hierfür mag auch das unten gezeigte Foto sein, das übrigens keinen Polizeifund nach einer Razzia im Rockermilieu präsentiert, sondern mir von einem Bekannten zur Verfügung gestellt wurde, selbst Direktor einer nordrhein-westfälischen Schule in einer mittelgroßen Stadt. Der hat einfach mal die Sammlung, der bei seinen Schülern im Schulbetrieb aufgefundenen Mord- und Totschlaginstrumente abgelichtet. Da dieser Artikel aber ein Rechtsbeitrag sein soll, wird die Frage nach dem „Warum?“ hier nicht erörtert, dies ist ein Thema für Politiker und Soziologen.
Interessant scheint mir aber, dass sowohl bei Schülern, Eltern und Lehrern große Wissenslücken existieren, in welche rechtliche Kategorie verbotenes Verhalten von Schülern im Bereich der Schule einzustellen ist und wie Lehrpersonal hierauf reagieren kann oder gar muss. Nicht zum ersten Mal wurde ich jüngst von einem befreundeten Lehrer gefragt, ob er verpflichtet sei, wiederholte Körperverletzungen zum Nachteil eines Schülers durch eine Gruppe von Mitschülern der Polizei zu melden. Spiegelbildlich erlebe ich als Strafverteidiger dann auch immer wieder, dass Jugendliche und Heranwachsende zwar in aller Regel wissen, dass sie Dieses und Jenes nicht dürfen, aber oft aufrichtig erstaunt bis entsetzt sind, wenn ihnen die strafrechtliche Rechnung aufgemacht wird und sich beispielsweise das „Abziehen“ eines Handys von einem Mitschüler als Raub nach § 249 des Strafgesetzbuches entpuppt. Deshalb stelle ich in der Folge einen kurzen Abriss „schultypischer“ Delikte mit Fallbeispielen vor. Die angegeben Strafrahmen gelten für das Erwachsenenstrafrecht, dessen Anwendung eine strafrechtliche Verurteilung mindestens 18-Jähriger nach Erwachsenenstrafrecht voraussetzt. Bei Schülern wird aber fast immer Jugendstrafrecht
Anwendung finden, das sich am Erziehungsgedanken orientiert und mildere Rechtsfolgen kennt.
• Raub und räuberische Erpressung (§§ 249, 255 StGB, Freiheitsstrafe 1 bis 15 Jahre): Wer einem Mitschüler einen Gegenstand mit Gewalt abnimmt oder sich geben lässt, begeht diese Straftaten. Umgangssprachlich wird auch vom „Abziehen“ gesprochen. Häufiges Objekt der Begierde sind Handys und Markenklamotten. Eine räuberische Erpressung ist es auch, wenn ein Schüler von Mitschülern gezwungen wird „Schutzgeld“ zu bezahlen, andernfalls, er auf dem Nachhauseweg verprügelt würde.
• Nötigung (§ 240 StGB, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 3 Jahre): Dieser Straftatbestand ist zum Beispiel erfüllt, wenn ein Mitschüler zum Abschreibenlassen von Hausaufgaben mit der Drohung gezwungen wird, dass im Falle der Weigerung sein Fahrrad kaputt gemacht wird oder Mobbing im Internet oder Chats stattfindet.
• Bedrohung (§§ 241 StGB, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis 1 Jahr): Eine solche liegt vor, wenn ein anderer ernsthaft mit einem Verbrechen bedroht wird: „Wenn ich Dich kriege, stech ich Dich ab, Alter!“
• Sachbeschädigung (§ 303 StGB, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren): Einem Mitschüler werden die Reifen des Fahrrades aufgeschlitzt oder das Schulgebäude wird mit Graffitischmierereien verschönert.
• Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung (§§ 223, 224 StGB, für die gef. KV Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren): Jemanden zu misshandeln, beispielsweise durch Ohrfeigen, Faustschläge und Tritte, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung. Wird dies durch mehrere Personen begangen, liegt eine gefährliche Körperverletzung vor, auch wenn sich nicht jeder der Täter selbst aktiv an der Misshandlung beteiligt. Eine solche gefährliche Körperverletzung liegt auch vor, wenn ein einzelner einen anderen unter Zuhilfenahme gefährlicher Gegenstände misshandelt, wozu nicht nur Schlagwerkzeuge zählen, sondern auch schon festes Schuhwerk, wenn hiermit zugetreten wird.
So mancher Leser wird wohl überrascht sein, dass Vorfälle, an die er sich als unangenehme Realität deutschen Schulalltags bereits gewöhnt hat, mit der Elle des Strafrechts gemessen, solch gewichtige Straftatbestände erfüllen. Nur um nicht missverstanden zu werden, ich bin nicht dafür, dass jeder Fehltritt eines Schülers, der strafrechtlich geahndet werden könnte, auch bei der Justiz landet. Dies würde zu einer Kriminalisierung von Verhalten führen, das größtenteils Element jugendtypischer Entwicklung ist. Es gibt aber Grenzen, bei deren Überschreitung die Schule einen Fall nicht mehr allein „regeln“ kann. Wo diese Grenzen zu
ziehen sind, ist in NRW landesrechtlich geregelt. In einem gemeinsamen Erlass von Innen-, Justiz- und Kulturministerium NRW vom 22.8.2014 heißt es, dass bei Straftaten von Schülern an der Schule oder im unmittelbaren Umfeld, eine Benachrichtigung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft „regelmäßig zu erfolgen hat, bei gefährlichen Körperverletzungen, Einbruchdiebstählen und erheblichen Fällen von Bedrohung, Sachbeschädigung oder Nötigung“ (Gemeinsamer Runderlass der Ministerien v. 22.8.2014, Ministerialblatt 2014, S. 485 bis 510).
Die Rechtslage ist demnach klar! Sie zu kennen, wird vielleicht helfen, dem einen oder anderen Schüler Torturen im Schulalltag zu ersparen. Es gilt das alte Sprichwort: „Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!“