Strafverteidigung

Die Verbreitung des Irrglaubens, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nur denjenigen treffen kann, der sich bewusst und beharrlich über bestehende Gesetze hinweggesetzt hat, ist mittlerweile erfreulicherweise deutlich gesunken ist. Hierzu beigetragen haben sicherlich die Medien, deren Prozessberichterstattung in den letzten Jahren immer intensiver wurde. Vielfach eröffnen sich dem Laien Einblicke in Strafverfahren, die ein zähes Ringen zwischen den Prozessbeteiligten, das heißt Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung um die Wahrheit offenbaren. Häufig haben die Prozessbeteiligten eine vollkommen unterschiedliche Einschätzung, ob ein Angeklagter nun eine Straftat begangen hat oder nicht. Als Beispiel mag der sogenannte »Autobahnraserprozess« dienen, bei dem auch das den Prozess beobachtende Publikum gespalten war, ob der Angeklagte »Turbo-Rolf« schuldig sei oder nicht. Die Einen waren von seiner Schuld zweifelsfrei überzeugt, während andere Prozeßbeobachter ihn für unschuldig hielten. Auch statistisch lässt sich belegen, dass Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ganz überwiegend Menschen treffen, die wegen der Tat, derer sie im Verdacht stehen, anschließend nicht verurteilt werden. Zu mehr als 60 % betreffen die Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Beschuldigte, die schließlich nicht angeklagt werden, wobei wiederum von den Angeklagten 25 % nicht verurteilt werden. (1)

Dies Alles verdeutlicht Eines. Recht wird von Menschen gemacht und wo Menschen arbeiten, können und werden immer Fehler passieren. Es gilt im Strafprozess, wie in allen Rechtsbereichen zuweilen die Volksweisheit: »Recht haben und Recht bekommen sind oft zweierlei Dinge«.

Der Strafverteidiger ist der Beistand des Beschuldigten. In dieser Funktion hat er die Aufgabe, eine sachgerechte Verteidigung des Mandanten zu gewährleisten, indem er zum Einen alle den Beschuldigten entlastenden Umstände zur Geltung bringt und zum Anderen im Rahmen seiner Aufgabe den Klienten zu schützen, überwacht, dass die Vorschriften der Strafprozessordnung, die eine Schutzfunktion zugunsten seines Mandanten entfalten, auch seitens der Ermittlungsbehörden und der Gerichte Beachtung finden.

Wie die tägliche Praxis zeigt, ist die Gewährung gesetzlich verbürgter Rechte keine Selbstverständlichkeit, sondern erfordert vielfach ein zähes Ringen der Verteidigung.

Die Weichen für einen aus Sicht des Beschuldigten erfolgreich verlaufenden Strafprozess werden deshalb in der Regel bereits früh, das heißt im Ermittlungsverfahren, gestellt. Im Falle eines bestreitenden Beschuldigten ist es deshalb in diesem Stadium bereits wichtig, dass Verteidiger und Mandant entlastende Umstände erkennen und definieren. Die Strafprozessordnung verpflichtet die Staatsanwaltschaft zwar auch die entlastenden Umstände zu ermitteln. Aber auch der beste Wille diese Pflichten zu erfüllen, reicht zum Schutz des Beschuldigten nicht aus. Besonders dem Staatsanwalt und der Kriminalpolizei, als staatlichen Verfolgungsorganen, wird ein psychologisch schwer zu vollziehendes Verhalten abverlangt. Es liegt auf der Hand, dass eine auf Strafverfolgung abzielende Berufstätigkeit die Unbefangenheit des Urteils beeinflusst. Je stärker der Verdacht ist, um so mehr ist das Vermögen des Strafverfolgers beeinträchtigt, die entlastenden Umstände mit der selben Unvoreingenommenheit und Sachlichkeit zu ermitteln und zu berücksichtigen, wie die belastenden. Wenn er Verdacht hat, wird es ihm schwer, Unschuld zu vermuten. (2)

Das von manchen Kollegen vertretende Dogma, Strafverteidigung sei stets auch Kampf mit Staatsanwaltschaft und Gericht, wird im Übrigen hier als falsch erachtet. Die konfrontative und zuweilen auch emotional aggressive Auseinandersetzung mit Gericht und Staatsanwaltschaft ist bei konsequenter Interessenvertretung für den Mandanten manchmal nicht zu verhindern. Viel öfter aber wird es der Dialog und die fachliche Argumentation sein, die den Interessen des Mandanten dienen kann. Hierzu ist nicht nur fundierte Rechtskenntnis des Verteidigers erforderlich, sondern auch psychologisches Einfühlungsvermögen. Ein Richter, der selbst dann, wenn hierzu eigentlich kein Anlass besteht, permanent auf Widerstände des Verteidigers trifft, kann leicht in die Gefahr gebracht werden, dem Verteidiger ein solches Prozessverhalten irgendwann »heimzuzahlen«. Leidtragender ist dann zumeist der Mandant. Es gilt dementsprechend, die Verteidigung den jeweiligen Erfordernissen anzupassen, wozu es Fingerspitzengefühls bedarf. Die einzelnen Etappen und Tätigkeiten des Verteidigers im Strafverfahrens lassen sich kurz wie folgt darstellen:

Übernahme des Mandats

Meist erfolgt die Übernahme des Mandats, wenn sich der Ratsuchende in massiven Schwierigkeiten befindet, beispielsweise nach einer Wohnungsdurchsuchung oder Verhaftung. In diesen Fällen ist die Zuziehung eines qualifizierten Verteidigers schnellstmöglich geboten. Gemäß § 137 StPO hat der Beschuldigte das Recht in jeder Phase des Verfahrens einen Verteidiger zu konsultieren.

Bevor der Verteidiger die Möglichkeit hatte die Ermittlungsakte einzusehen, wird dem Mandanten hier in den meisten Fällen geraten keine Angaben zur Sache zu machen. Dies ist sein strafprozessuales Recht und kann nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden. Beschuldigte tun sich mit der Wahrnehmung dieses Rechts oft schwer, da nach ihrem Verständnis das Schweigen als Schuldeingeständnis gewertet werden kann. Dem ist nicht so. Der Beschuldigte muss sich vor Augen halten, dass in der bei der Staatsanwaltschaft geführten Akte regelmäßig belastende wie entlastende Umstände enthalten sind. Eine Einlassung zur Sache, die ihm nicht schadet, kann der Beschuldigte aber meist nur dann abgeben, wenn er diese Fakten kennt. Grundsätzlich gilt daher: »Reden ist Silber – Schweigen ist Gold«.

Akteneinsicht

Nach der Einsicht in die Ermittlungsakte wird der Verteidiger den Inhalt mit dem Mandanten besprechen und die Sach- und Rechtslage erörtern. In diesem Stadium sind Erwägungen zu treffen, inwieweit Angaben zur Sache durch den Beschuldigten nunmehr gemacht werden sollen. Gespräche mit der Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht sind oftmals hilfreich einem Verfahren bereits im Vorfeld »die Schärfe« zu nehmen. Selbstverständlich ist, dass der Mandant über solche Schritte informiert ist und sie sein Einverständnis finden.

Aktivitäten im sogenannten »Vorverfahren«

Im Vorverfahren, das heißt im Stadium des Verfahrens bis zur Anklageerhebung oder einer Einstellung des Verfahrens, müssen gegebenenfalls entlastende Umstände erarbeitet werden. Sofern dies nach Aktenlage möglich ist, wird die Verteidigung auf eine Einstellung des Verfahrens hinwirken. Wird das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft nicht eingestellt, so kommt es zur Anklageerhebung vor dem zuständigen Gericht.

Verfahren nach Anklageerhebung

Erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage zum zuständigen Gericht, so wird die Durchführung einer Hauptverhandlung in der Regel unvermeidbar. Diese Hauptverhandlung muss strategisch vorbereitet werden. Eine Verteidigungsstrategie mit dem Mandanten wird daher erarbeitet. Gegebenenfalls und wenn dies dem Mandanten dient, kann bereits der Versuch unternommen werden mit den Prozessbeteiligten, das heißt Staatsanwaltschaft und Gericht, eine Verfahrensabsprache zu treffen.

Hauptverhandlung

Die Hauptverhandlung dient der Klärung der Frage, inwieweit der dem Angeklagten gemachte Tatvorwurf bestätigt werden kann und welches Gewicht ein u.U. vorliegendes Verschulden hat. Hier fällt somit die Entscheidung ob und wie der Angeklagte zu bestrafen ist. Je nach Schwere des Tatvorwurfes findet die Hauptverhandlung in der ersten Instanz vor dem Einzelrichter beim Amtsgericht, dem Schöffengericht beim Amtsgericht oder vor der Großen Strafkammer beim Landgericht statt. In der Hauptverhandlung wird die Verteidigung ein zuvor aufgrund der gegebenen Fakten definiertes Verteidigungsziel verfolgen. Die Wahl der Strategie richtet sich nach dem Ziel der Verteidigung und ist flexibel zu handhaben. Auch die Kenntnis von den mitwirkenden Prozessbeteiligten, das heißt dem Richter und dem Staatsanwalt, ist bei der Wahl der Strategie zu berücksichtigen. Ein erfahrener Verteidiger kennt die meisten Richter und Staatsanwälte aus der Praxistätigkeit heraus und wird einschätzen können, bei welchem Richter in bestimmten Konstellationen hart verteidigt werden muss und bei wem man im Vorfeld des Prozesses bereits durch Rechtsgespräche »die Kuh vom Eis bringen« kann.

Urteil

Das Urteil beendet das Verfahren nicht zwangsläufig. Gegebenenfalls kann noch ein Rechtsmittel eingelegt werden, das heißt Berufung oder Revision.

(1) Vultejus, DRiZ 1995, 226 ff.
(2) Hans Daas, Handbuch des Strafverteidigers, Rdn. 4