von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 11/2012
Wochenlang hatten Anna und ihr Vater bei Gerichten und Polizei vergeblich versucht Schutz vor Rolf zu erhalten. Sie hatten dort gebettelt, argumentiert und zuletzt gedroht, aber all das hatte ihr nichts genützt. Nun lag sie da auf dem kalten Asphalt, getötet durch 26 Messerstiche, hingerichtet auf offener Straße, vor dem Kindergarten, in den sie Minuten zuvor noch ihre kleine Tochter Lara gebracht hatte.
Rolf, ihr Ex-Freund, hatte zu Ende gebracht, was er im Internet zuvor angekündigt hatte, worauf Anna und ihr Vater die Polizei und ein Zivilgericht oft und drängend hingewiesen hatten, aber nicht ernst genommen worden waren.
Es gehört sicher zu den traurigsten und grausamsten Ereignissen meiner beruflichen Laufbahn, was Gegenstand des Mandats war, das mir Annas Vater im Dezember 2005 mit der Bitte um Vertretung als Nebenklagevertreter im Strafverfahren gegen den Täter vor dem Landgericht Nürnberg antrug. Es erscheint heute fast nebensächlich, dass der Täter zu einer langjährigen Jugendstrafe und zunächst unbefristeter Unterbringung in einer Psychiatrie verurteilt wurde, angesichts der Sinnlosigkeit und Vermeidbarkeit von Annas Tod.
„Wehret den Anfängen“, so lautet meine persönliche Bilanz, die ich nach diesem erschütternden Mandat für mich zog. „Stalking“, wie es im Volksmund heißt, ist kein exotisches Phänomen, sondern traurige und immer wieder Schlagzeilen in den Medien verursachende Realität, wenn ein Mensch nicht begreifen will, dass ein anderer Mensch ohne ihn leben möchte, nicht zu seinem Besitzstand gehört oder einfach nur in Ruhe gelassen werden mag. Ich habe aufgehört zu zählen, in wie vielen Gerichtsakten ich im Detail nachlesen musste, welche Auswüchse im strafrechtlichen Sinne die Trennung einer Partnerschaft hervorgebracht hat. Ob es das sich wiederholende Auflauern vor dem Haus war, zwecks Führung eines „klärenden Gespräches“, die nächtliche SMS in dem Tenor: „Wenn ich dich nicht haben kann, bekommt dich auch kein anderer“, oder andere Varianten des Beziehungsterrors; tiefe Spuren in Psyche und Alltagsleben der Betroffenen haben sie stets hinterlassen.
Anna musste im November 2005 sterben. Der Fall hat seinerzeit die Öffentlichkeit beschäftigt und wenn ihr Tod und der sich anschließende Kampf um Gerechtigkeit vielleicht deswegen nicht ganz umsonst gewesen ist, dann deshalb, weil sich Gottlob seither einiges geändert hat. Die Sensibilität der Polizeistellen und der Gerichte ist mittlerweile, nach meiner subjektiven Wahrnehmung jedenfalls, eine ganz andere. Man hört den Opfern, die geängstigt und bedroht werden, besser zu und nimmt ihre Ängste ernst. Überdies gibt es seit 2007 im StGB den neu geschaffenen § 238. Dort heißt es: „Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich seine räumliche Nähe aufsucht oder … Kontakt zu ihm herzustellen versucht, ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahestehende Person bedroht und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft.“
Wer also Opfer eines „Stalkers“ wird, der sollte nicht warten, bis die Situation sich zum äußersten zuspitzt. Der Täter muss frühzeitig wissen, dass sich sein Opfer wehren wird und mit juristischen Mitteln auch wehren kann. Das wirkt abschreckend und bindet in vielen Fällen die Hemmungslosigkeit des Täters, sich rücksichtlos in das Leben eines anderen Menschen einbringen zu wollen. Das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) bietet diesen juristischen Schutz gegen „Stalking“. In § 1 heißt es, dass „Derjenige, der eine Körperverletzung zum Nachteil einer anderen Person bereits begangen hat oder diese Person unzumutbar belästigt“, gerichtlich verboten bekommen kann, die Wohnung des Opfers zu betreten, sich ihm zu nähern oder wie auch immer Kontakt zu ihm aufzunehmen. Im Falle der Zuwiderhandlung sieht § 4 die Bestrafung des Täters mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor.
Wie bereits gesagt, ist gerichtliche Hilfe nach dem GewSchG heutzutage recht unkompliziert und schnell zu erhalten. Niemand sollte so lange warten, bis der Psychoterror ihn zermürbt hat oder aber der Täter sich, auf Grund ausbleibender Gegenwehr des Opfers, ermutigt fühlt die Grenzen des Terrors weiter und weiter zu stecken und den Weg in die Katastrophe programmieren kann. Hätte im Spätherbst 2005 ein Gericht den von Anna und ihrem Vater angestrebten Schutz gewährt, Anna würde ihre Tochter Lara wohl heute noch zur Schule bringen.