von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 05/2016
Viola ist heute Vierzehn. Vor zehn Jahren verlor sie ihre Mama Hannah. Hannah Karp war erst vierundzwanzig Jahre. Sie starb nicht bei einem Unfall in einem Auto und sie ereilte auch nicht das Schicksal einer furchtbaren unheilbaren Krankheit. Hannah Karp verblutete auf dem Bürgersteig einer fränkischen Kleinstadt in Sichtweite zu Violas Kindergarten. Dorthin hatte sie ihre Tochter wie jeden Morgen gebracht.
Als sie ihre Tochter mit einem Kuss verabschiedet und in der üblichen Eile, die junge Mütter umtreibt, die tausend Dinge unter einen Hut bekommen müssen, den Kindergarten verlassen hatte, wartete schon ihr Mörder auf sie. Er war bewaffnet mit einem 30 Zentimeter langen Küchenmesser. Und er ließ ihr keine Chance. Sie hatte noch versucht sich hinter einer anderen Kindergartenmutter zu verstecken, es sollte ihr nicht helfen. Niedergemetzelt mit 24 Stichen blieb sie auf dem Trottoir zurück. „Hilft mir denn keiner?“, war das letzte, was die entsetzten Tatzeugen von ihr hörten. Das Messer ließ der Täter in ihrem Bauch steckend zurück. Seine Festnahme ließ er wenige Minuten später, ohne fliehen zu wollen, über sich ergehen. Im Prozess sagte der Polizist, der ihn verhaftete, er habe ganz ruhig gewirkt. Der Täter war ihr Ex- Freund Joe. 20 Jahre und 4 Monate alt bei Begehung der Tat. Heranwachsender im Sinne des Gesetzes.
„Im Namen des Volkes!“, verkündete das Landgericht im November 2006 das Urteil gegen Joe nach 11 Verhandlungstagen. 9 Jahre Jugendstrafe wegen Mordes und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen andauernder Gefährlichkeit für die Allgemeinheit urteilten die Richter. Ich habe Hannahs Vater und Violas Großvater Hans Jürgen Karp im Prozess als Nebenklageanwalt vertreten. Er und seine Frau kümmerten sich nach Hannahs Tod um die Kleine und sie wollten, dass ich ihrem Leid und Schmerz im Strafverfahren gegen Joe Gehör verschaffe. Vor allem aber, wollten sie die Vermeidbarkeit von Hannahs Tod anerkannt wissen. Anerkannt durch die Justiz. Eine Justiz, die Hannah Karp nicht hatte schützen können vor Joe, ihrem „Ex“. Einem Mann, der ihren Tod angekündigt hatte. Angekündigt in Internetchats, von denen Polizei und Justiz Kenntnis hatten.
Alles begann an dem Tag, als sich Hannah in Joe verliebte. Sie war alleinerziehende Mama der kleinen Viola, die Ehe mit dem leiblichen Vater war nicht gut gegangen und so lebte sie mit Viola bei den Eltern, kümmerte sich rührend um ihre Tochter und absolvierte nebenbei noch eine Ausbildung. Für eine junge Frau kein Leben zwischen Ponyhof und Rosenbeet, aber sie meisterte es mit Fleiß und der Lebenslust eines jungen Menschen, der sein Leben noch vor sich hat.
Joe brachte Farbe in ihr Leben. Es schien als sei er endlich der Richtige, mit seiner netten Art sich um Viola zu kümmern und seinem Mutterwitz, der sie in jeder Situation zum Lachen bringen konnte. Die Veränderung begann schleichend. Plötzlich war da manchmal diese lauernde Eifersucht bei ihm, die Streitszenen häuften sich, es war als streute jemand Gift auf die Gräser des Vertrauens und der Hoffnung, die gerade erst zu wachsen begannen. Als Hannah nicht mehr konnte, machte sie Schluss. Joe war tief verzweifelt, beide versuchten ihre Situation zu klären. Nach Diskussionen voll Tränen, Hader und Reue versuchten es die Beiden doch noch einmal miteinander. Es ging wieder schief. Erneut trennte sich Hannah von Joe, der es diesmal noch schlechter wegsteckte. Aber Hannahs Entscheidung blieb diesmal endgültig. Das war vielleicht der Punkt, an dem Joe vollkommen seine Mitte verlor. Gewaltfantasien gegen Hannah vernebelten seinen Kopf, bei einer Aussprache im Beisein ihres Vaters, Hans Jürgen Karp, verlor er die Beherrschung und ging auf Hannah los, schlug und versuchte sie zu würgen.
Hans Jürgen Karp war immer ein Mann mit festen Prinzipien gewesen. Fand er etwas ungerecht, kämpfte er dagegen. Er gründete Bürgerinitiativen, demonstrierte in den Achtzigerjahren gegen
den Nato-Doppelbeschluss. Ein Fanal sollte es sein, als er einmal sogar den Bundeskanzler angezeigt hatte. Als Joe die Beherrschung verlor und Hannah in seinem Beisein angriff, war für ihn das Maß voll. Er hatte in dessen Augen etwas gesehen, was ihn, so wie er es mir später beschrieb, an ein Raubtier erinnerte. Hans Jürgen Karp spürte in diesem Moment, dass er seine Tochter vor Joe schützen musste, ja, das vielleicht er allein nicht genug sein würde um sie zu retten. Er sollte Recht behalten!
Im Internet begann Joe in Chats mit Freunden Mordfantasien auszubreiten. Einmal schrieb er: „Ich werde ihr den Kopf mit einer Axt vor dem Kindergarten abhacken. Den bringe ich dann ihrem Vater!“ Ein anderes Mal teilte er einer Freundin via Internet mit: „Habe jetzt ihren Todestag festgelegt! Muss noch das Datum checken.“
Es bedarf geringer Fantasie zu begreifen, welche Panik Hannah und ihren Vater ergriff, als sie hiervon erfuhren. Hans Jürgen Karp rotierte Tag und Nacht. Er erstattete Strafanzeigen gegen Joe bei Staatsanwaltschaft und Polizei, denen er die Todesdrohungen zeigte. Er erwirkte bei Gericht ein Näherungsverbot für Joe und beantragte Polizeischutz für Hannah. Ob es an seinem Ruf als Querkopf und streitbarer Antibürokrat lag, dass man die Sache bei Polizei und Justiz nicht richtig ernst nahm? Eine Frage, die ich mir manchmal heute noch stelle, wenn ich an die Tragödie zurückdenke. Fakt ist, dass man seitens der Polizei und der Justiz viel mehr hätte tun können und getan hätte um Hannahs Leben zu retten! Wenn man die Lage so ernst genommen hätte wie sie war. Dass die Gefahr in der Hannah sich befand grotesk unterschätzt wurde, spiegelt die Äußerung eines der Sachbearbeiter der Polizei wieder, der Hans Jürgen Karp einige Tage vor der Tat noch zu beruhigen versuchte: „ Der Joe, der tut nix!“ . Das Ergebnis ist bekannt.
Nach der Verurteilung von Joe durch das Landgericht wegen Mordes, erstattete Hans Jürgen Karp durch mich Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gegen einige leitende Polizisten und Juristen. Es zählt heute rückblickend zu den bittersten Erfahrungen meines Berufslebens, dass eine Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft und letztinstanzlich auch durch das Oberlandesgericht abgelehnt wurde. Die Begründung lautete so, wie ihn der Pressesprecher des Landgerichts vor laufender Kamera zusammenfasste: „Der tödliche Angriff des Täters auf Hannah K. war objektiv nicht vorhersehbar.“ Die Moderatorin Maria Gresz von Spiegel TV brachte diese Aussage im Abspann zu einem dort gesendeten Beitrag auf den Punkt: „So also, hört sich behördliches Versagen auf Amtsdeutsch an!“.
Dem ist wenig hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass jener Pressesprecher des Landgerichts heute eines der höchsten Richterämter dieser Republik bekleidet.