von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 09/2012
Die momentan geführte Diskussion über Beschneidung als strafbare Körperverletzung macht für Rechtslaien mit einem Mal deutlich, wie unsicher selbst Juristen in der Bewertung der Frage sein können, ob ein bestimmtes Verhalten als strafbare Körperverletzung zu ahnden ist oder nicht.
Im oft drolligen Juristendeutsch ist die Körperverletzung (§ 223 StGB) definiert als „üble unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.“ Auf den zweiten Blick bleibt festzustellen, dass die juristische Beschreibung nicht sehr viel weiterhilft, da beinahe jedes Wort dieses Satzes einer erneuten Interpretation zugänglich ist. Laien sprechen in solchen Fällen richtigerweise vom „Gummi-Paragraphen“.
Mir fiel bei der nun neu entflammten Diskussion über das Wesen der strafbaren Körperverletzung, jener längst vergangene Tage aus meiner Grundschulzeit ein, als mein hibbeliger und manchmal zur Widerborstigkeit neigender Schulkamerad Udo, den Zorn unseres Klassenlehrers in Form einer schallenden Ohrfeige zu spüren bekam. Vermutlich wäre vor fast 40 Jahren kaum jemand auf die Idee gekommen, den hemdsärmeligen Pädagogen, der uns Grundschulkinder so gern mit seinem Lieblingszitat: „Wir haben einen Butterberg zu viel, einen Kohlenberg zu viel und einen Ehrenberg zu viel“, traktierte, strafrechtlich wegen Körperverletzung zur Verantwortung zu ziehen. Indes haben sich die Zeiten geändert und der gute alte Erziehungsgrundsatz: „Eine Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet“ wird, zumindest öffentlich ausgesprochen, wenig Zustimmung erheischen. Nun gibt es aber ein Füllhorn „spürbarer Erziehungsmethoden“ unterhalb dessen, was man landläufig als „Tracht Prügel“ bezeichnet. Jüngere Studien des Gesetzgebers haben ergeben, dass vier Fünftel aller Kinder zumindest gelegentlich (wenigstens) Ohrfeigen von ihren Eltern als „Erziehungsmittel“ erhalten.
Die Frage stellt sich angesichts der neueren Diskussion über Körperverletzung also ganz konkret: Dürfen Eltern ihre Kinder körperlich züchtigen und ab wann wird so etwas ein Fall für den Staatsanwalt? Die Frage selbst erhält zwei Elemente. Teil eins der Frage ist einfach zu beantworten. Nach dem § 1631 Abs. 2 BGB im Jahr 2000 neu gefasst wurde, heißt es dort: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Damit ist unmissverständlich klargestellt, dass noch nicht einmal der „Klaps auf den Po“ als „erzieherische Maßnahme“ vom Gesetzgeber gebilligt wird. Jetzt wird es für den Rechtslaien aber erst recht kompliziert. Nicht jedes verbotene Verhalten im Umgang mit Kindern wird gleichzeitig eine Bestrafung nach sich ziehen. Die Strafbarkeit wird nicht im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB, geregelt, sondern im Strafgesetzbuch, dem StGB. Ist also nun der zitierte „Klaps auf den Po“ bereits eine „üble unangemessene Behandlung durch die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird“?
Um es kurz zu machen, Juristen rechten gern und die Juristerei ist in dieser Frage heillos zerstritten. Zahllose Meinungen und Gegenmeinungen existieren hierzu, so dass es für den Rechtslaien empfehlenswert ist, das Augenmerk auf die praktische Handhabung dieser Problematik durch Staatsanwaltschaften und Gerichte zu lenken.
Die sieht so aus, dass der zitierte „Klaps“ zwar rechtlich verboten ist (§ 1631 Abs. 2 BGB), jedenfalls aber „mangels öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung“ nicht strafrechtlicg verfolgt wird und damit straflos bleibt.
Ebenso verhält es sich wohl mit der „einfachen Ohrfeige“, die zwar bereits unter die Definition des Paragraphen § 223 StGB fällt, als „üble unangemessene Behandlung“, bei fehlendem Strafantrag und wegen „mangelndem öffentlichen Interesse“ regelmäßig aber nicht verfolgt wird.
Definitiv strafrechtlich als Körperverletzung zu ahnden ist jedenfalls die „Tracht Prügel“ mit der Hand und selbstverständlich die Misshandlung des Kindes mittels Holzlöffel, Teppichausklopfer, Ledergürtel und anderen zur Schinderei brauchbaren Gegenständen. Letzterer Fall ist sogar eine Misshandlung „mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ gemäß § 224 StGB, der im Regelfall mit Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten geahndet wird. Am Rande sein erwähnt, dass der BGH noch 1986 in einem heiß diskutierten Fall, der so genannten „Gartenschlauchentscheidung“, die Verwendung eines solchen Werkzeugs gut hieß. Gott sei Dank ist der heutige Zeitgeist ein anderer und es bleibt zu wünschen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt und in den Köpfen festsetzt, dass es nicht nur ein „Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung“ gibt, sondern die Achtung der Kinder vor uns Erwachsenen nur da entstehen kann, wo wir uns selbst auch an Regeln halten und Wehrlosigkeit durch körperliche Unterlegenheit nicht „erzieherisch“ ausgenutzt wird.