von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 02/2017
Wer sich in deutschen Gerichtssälen umschaut, der wird so manchen „bunten Hund“ entdecken. Gemeint sind Menschen, die eben etwas anders sind als „Otto Normalo“. Das gilt aber in Strafprozessen nicht in erster Linie für die Angeklagten, klar, da trifft man natürlich auf so manchen Sonderling, sondern auch für Richter und Verteidiger. Warum das so ist?
Keine Ahnung, aber bezogen auf die Strafrichter, liegt es vielleicht daran, dass man sich, zumindest beruflich, ein „dickes Fell“ zulegen muss, wenn man von Angeklagten Tag für Tag die abenteuerlichsten Geschichten erzählt bekommt. Natürlich, um möglichst mit heiler Haut davonzukommen. Denn lügen darf der Angeklagte im Gericht – im Gegensatz zum Zeugen – und es wird so reichlich davon Gebrauch gemacht, dass sich oft sprichwörtlich „die Balken biegen“. Damit als Richter über Jahrzehnte lang tagein tagaus klarzukommen, immer wieder mühsam die „Spreu vom Weizen“ trennen zu müssen, das mag Spuren in der Persönlichkeit hinterlassen. Vielleicht deshalb sind mir in den Jahren meiner Arbeit in deutschen Gerichten so viele schillernde Richterpersönlichkeiten vorgekommen.
Da war zum Beispiel „Hammer Helga“, die ihre Strafkammer als Vorsitzende ebenso eisern im Griff hatte, wie die fiesesten Schurken, die sich als Angeklagte vor ihr zu verantworten hatten. Wenn „Hammer Helga“ mit dröhnender Stimme die Sitzung eröffnete, war spätestens klar, wer hier im Saal das Sagen hat. Dabei bekamen durchaus auch die Anwälte ihr Fett weg, wenn sie schlecht vorbereitet waren oder aus anderem Grund Unsinn redeten. Unvergessen ist die Gerichtsverhandlung, in der ein sonst hartgesottener Strafverteidiger um ein Haar in die Hose gemacht hätte, weil er sich, wie er mir in der Gerichtskantine später gestand, nicht traute „Hammer Helga“ um eine Toilettenpause zu bitten.
Ein anderer Typ Richter war „Papa Gnädig“, der als Hardliner seine Richterlaufbahn begann und mit den Jahren immer milder wurde, so dass die Ganoven in den Knästen Stoßgebete gen Himmel schickten, ihr Fall möge bei „Papa Gnädig“ verhandelt werden. Mir sagte er einmal: „Egal wie lange ich jemanden wegsperren lasse, ein besserer Mensch wird er deshalb nicht, eher wird es noch schlimmer.“ Womit der Mann vermutlich auch Recht hatte.
Dann war da noch „Säufer Schinken“, der seinen Frust so stark im Alkohol ertränkte, dass man auf der Verteidigerbank regelmäßig von einem Pfefferminzbonbon-Weinbrand-Fön, vom Richterpult kommend, umweht wurde.
Unvergessen ist auch jene Richterlegende aus Köln, die jedes Urteil in Versform absetzte. Warum auch nicht? Die Strafprozessordnung verbot das schließlich nicht. Gewundert hat es die Angeklagten schon ein wenig!
So manchen „Strauß“ habe ich als Verteidiger auch mit dem „Lachenden Fallbeil“ ausgefochten. Da war der Spitzname Programm, denn er wurde so genannt, weil er die gesamte Beweisaufnahme lang stets verständnisvoll lächelte und in respektvollem und menschlich warmem Ton durch die Verhandlung führte. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen und selbst der renitenteste Verteidiger und reueloseste Angeklagte brachten ihn nicht aus der Fassung. Er beschwichtigte, besänftigte und – lächelte. Viele Angeklagte und Anwälte, die ihn nicht
kannten, wähnten sich aufgrund des harmonisch netten Verhandlungsverlaufs vor der Urteilsverkündung schon am Ziel. Der Freispruch schien greifbar nahe! Bis das „lachende Fallbeil“ lächelnd sein Urteil verkündete. Einen Freispruch gab es selten, vielmehr war die Strafe zumeist knackig hart, bis an die Grenze dessen, was der Strafrahmen nach oben hin zuließ. Danach lächelte im Sitzungssaal nur noch einer: Das „lachende Fallbeil“.
Meinem Mandanten aus Litauen wurde beim Schöffengericht der Prozess gemacht. Er befand sich in Untersuchungshaft, da er als Fahrer einer Spedition aus Litauen mit seinem LKW in eine Routinekontrolle geraten war und man fand unter der von ihm transportierten Holzladung einige tausend Stangen Zigaretten ohne Banderole, das heißt unversteuerte und gefälschte Ware, was schnell zu einem errechneten sechsstelligen Steuerschaden führt. Im Prozess beteuerte er händeringend seine Unschuld und dass man die Zigaretten ohne sein Wissen unter der Ladung versteckt haben müsse. Das Schöffengericht besteht aus dem Vorsitzenden Richter und zwei Laienrichtern und kann bis zu 4 Jahre Haft verhängen. Das Besondere ist, dass die Laienrichter, unbescholtene Bürger, die für einige Sitzungstage im Jahr als Teil des Gerichts als Schöffen fungieren, den Richter überstimmen können. Sind sich beide Schöffen einig, ein Angeklagter sei aus Mangel an Beweisen freizusprechen, so können sie sich gegen den Vorsitzenden (Berufs)Richter, der den Angeklagten für überführt hält und verurteilen möchte, durchsetzen. Das passiert in der Praxis allerdings wohl recht selten. Auch deshalb, weil der Einfluss mancher Vorsitzender Richter auf die Schöffen recht groß sein dürfte. Nicht nur einmal habe ich Richter prahlen hören: „Ich habe meine Schöffen im Griff.“
Aufmerksam und aufmunternd nickend, hatte der Richter, es war das „lachende Fallbeil“, meinem Mandanten zugehört, als dieser von der Not seiner Frau und der zwei Kinder in Litauen erzählte, die, seit er sich in Untersuchungshaft befinde, in bitterer Not lebten. Mir schwante Böses. Das Plädoyer des Staatsanwaltes, in dem dieser eine Haftstrafe ohne Bewährung für den Angeklagten beantragte, konterte ich mit flammenden Worten und forderte einen Freispruch. „Im Zweifel für den Angeklagten“, schloss ich den Vortrag und beantragte seine Entlassung aus der Untersuchungshaft.
Das Gericht zog sich zur Urteilsberatung zurück und brauchte ungewohnt lange. Nach quälend langen 45 Minuten öffnete sich die Tür des Beratungszimmers und der Vorsitzende verkündete mit versteinerter Mine und ohne den geringsten Anflug einer warmen Regung das Urteil: „Im Namen des Volkes! Der Angeklagte wird freigesprochen.“ Es war das erste Mal, dass ich ihn bei einer Urteilsverkündung nicht hatte lächeln sehen! Ganz anders mein Mandant, dem Freudentränen über das Gesicht liefen.
Die Urteilsberatung des Gerichts unterliegt dem sogenannten Beratungsgeheimnis, so dass man in der Regel nie erfährt, ob die Richter einstimmig entschieden haben oder geteilter Meinung waren. In diesem Fall bestätigte mir aber der „Flurfunk“, als ich mich einige Wochen später wieder in diesem Gericht befand, was ich selbst bereits vermutet hatte. Die Schöffen hatten den Vorsitzenden überstimmt, der den Angeklagten hatte verurteilen wollen. Ihnen hatte er zu verdanken, freigesprochen worden zu sein und wieder zu seiner Familie nach Litauen zurückkehren zu können. Über die Beweislage, ob sie für eine Verurteilung ausreichte oder nicht, mochte man geteilter Meinung sein können. Man konnte das sicher so oder so sehen. Was mir aber höchsten Respekt abnötigt ist, dass die Schöffen ihrer Überzeugung gefolgt waren und sich damit durchgesetzt hatten. Sie hatten in geradezu beispielhafter Weise damit ihre Schöffenpflichten erfüllt, mutmaßlich gegen nicht geringen Widerstand des Vorsitzenden Richters. Mag sein, dass er aber auch keiner war, der seine Schöffen jederzeit „im Griff“ haben wollte. Jedenfalls war es ein Tag, an dem das „lachende Fallbeil“ sein Lächeln kurzzeitig verlor.