von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 03/2013
Die Situation, von jemandem zu Unrecht beschuldigt zu werden, kennt jeder von uns. Ob es nun Kindheitserlebnisse sind, die wir hiermit verbinden, so das ungerechtfertigte „Anschwärzen“ des Geschwisterchens bei den Eltern, oder aber Nachbarschaftsstreitigkeiten, die auf irgendeinem Amt landen. Es geht im Kern immer um eines: Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt?
Gerade im Strafprozess aber sind solche Konstellationen besonders unangenehm für den Beschuldigten, der lediglich von einem einzigen Zeugen einer Tat beschuldigt wird und diese bestreitet. Strafrechtler sprechen von so genannten Aussagen-gegen-Aussage-Situationen. Diese sind gerade im Bereich des Sexualstrafrechts überproportional häufig anzutreffen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig.
Zum einen spielen in auseinander gegangenen Partnerschaften Emotionen häufig eine so große Rolle, dass Anschuldigungen, auch solche die manchmal falsch sind, in allen nur denkbaren Bereichen vorkommen. Zum anderen ist es bei Taten, die sich im privaten Bereich abgespielt haben sollen oft so, dass es weder weitere Zeugen noch andere Beweismittel gibt.
Landet ein solcher Fall vor Gericht, so steht der Richter vor der schwierigen Aufgabe herausfinden zu sollen, wer von beiden Recht hat. Wer sagt die Wahrheit, wer lügt? Nun hat die Rechtswissenschaft allerdings längst erkannt, dass ein Gericht nicht wirklich der geeignete Ort ist um die Wahrheit, gemeint in dem Sinne, historisch geschehene Lebenswirklichkeit nachzuvollziehen, zu erforschen. Kluge Köpfe haben dies so formuliert: Auch im Strafprozess werden Wahrheit und Recht durch Kommunikation und Diskurs gefunden. So werden Verfahrensergebnisse ausgehandelt oder hergestellt.
Wer sich dies vor Augen führt, muss erkennen: Eine Aussage-gegen-Aussage-Situation vor Gericht birgt für den Angeklagten die konkrete Gefahr, auch im Falle des Bestreitens, verurteilt werden zu können. Der Rechtsstaat-Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) ist hier ein wenig verlässlicher Schutzschild, denn im Urteil wird der Richter nur für den Angeklagten entscheiden, wenn er die belastende Zeugenaussage nicht glaubt oder eben Zweifel an ihrer Richtigkeit hat. Hält er aber z.B. die belastende Aussage einer Zeugin, die ihren Ehemann der Vergewaltigung in der Ehe beschuldigt hat, für glaubhaft, dann gibt es aus seiner Sicht eben keinen Zweifel und die Grundlage für eine Verurteilung ist prinzipiell gegeben.
Zwar besteht unter Juristen weitgehend Einigkeit darüber, dass der Zeugenbeweis oft das unzuverlässigste Beweismittel darstellt, häufig reicht aber diese eine Zeugenaussage aus, auch einen bestreitenden Angeklagten zu verurteilen. Der Bundesgerichtshof und die Obergerichte haben in dem Versuch Fehlurteile weitestgehend zu vermeiden, Kriterien aufgestellt, die die erkennenden Strafgerichte bei der Bewertung einer belastenden Aussage zur Beurteilung ihrer Glaubhaftigkeit prüfen müssen.
Ob diese Kriterien vom beurteilenden Gericht tatsächlich ausreichend beachtet werden und einem Fehlurteil damit bestmöglich begegnet wird, hängt aber von der Kompetenz der Richter und weiteren Umständen ab. So zum Beispiel, wie gut ein Belastungszeuge aufgrund sprachlicher und intellektueller Möglichkeiten Sachverhalte zu formulieren und darzustellen vermag.
Wahrheit und Recht werden vor Gericht durch Kommunikation und Diskurs gefunden! Im Strafprozess wird in einer Aussage-gegen-Aussage-Situation, derjenige zu Unrecht Beschuldigte, der meint, mit Aufrichtigkeit und gerechtem Zorn allein das Verfahren zu einem Freispruch bringen zu können, häufig scheitern. Eine professionelle Verteidigung, geschult in praxisbezogener Kommunikation und ausgestattet mit dem Wissen und den Argumenten für eine erforderlichenfalls notwendige Konfliktverteidigung, wird das Risiko eines Fehlurteils minimieren können. Gänzlich ausschließen vermag auch sie dies nicht.