von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 04/2016
Es gibt Menschen, von denen sagt man, sie füllten mit ihrer Präsenz nahezu jeden Raum aus. Herr Konrad, natürlich ist das nicht sein wahrer Name, gehörte jedenfalls nicht hierzu. Jedenfalls nicht, als ich ihn das erste Mal im Gefängnis besuchte. Meist weiß man als Anwalt nichts oder wenig über das, was vorgefallen ist, wenn man einen neuen Mandanten erstmalig in der Untersuchungshaft besucht.
Man hat vielleicht einen Brief erhalten, geschrieben mit krakeliger Schrift, die innere Unruhe und Zerrissenheit des Hilfesuchenden deutlich wiedergebend, mit dem um Besuch im Knast und Übernahme des Mandats gebeten wird. So war es auch im Fall von Herrn Konrad gewesen.
Selbst in dem kleinen, grau gestrichenen Besprechungszimmer der Haftanstalt, wirkte der in sich zusammengesunkene, etwa fünfzigjährige Mann, winzig und im Raum verloren. Der angstvolle Blick und die Ringe unter den Augen schienen sichere Zeichen für eine schlaflose erste Nacht im Gefängnis zu sein. Nein, hier saß mir kein hartgesottener Knacki gegenüber, das war mir schnell klar. Keiner der Sorte, die nach dem Motto leben: „Ein Mann ohne Knast ist wie ein Baum ohne Ast!“ und sich als Souvenir vor der Haftentlassung schnell noch ein paar Knasttränen unter die Haut stechen lassen.
Die Geschichte, die er erzählte, war so sonderbar, dass ich kaum wusste, ob man sie zum Lachen oder Weinen finden sollte. Hans Konrad war verhaftet worden, wegen versuchten Totschlags an seinem Kumpel Franz. In einem Streit mit diesem, war seine abgebrochene Bierflasche in dessen Hals gelandet, so dass der Franz um ein Haar in seiner schicken Dürener Altstadtwohnung verblutet wäre.
Was war vorgefallen? Herr Konrad und seine Frau Inge waren seit Jahrzehnten ein Paar, was aber nicht hieß, dass nicht des Öfteren mal die Fetzen flogen! Vor allem dann, wenn Herr und Frau Konrad mal wieder etwas zusammen getrunken hatten, was so jetzt nicht nur Feiertags vorkam. Vornehmlich dann nämlich, erinnerte sich Frau Konrad laut und vehement der guten Chancen, die ihr Hans ehemals bei der Dürener Damenwelt so hatte. Dass das alles ewig zurücklag und lange vor ihrer Zeit war, spielte für Inge Konrad dann keine Rolle. Ein Filou ist und bleibt eben ein solcher!
Sehr gerne gingen die Konrads am Freitag oder Samstag auch mal bei den Müllers von nebenan vorbei, denn die waren schon nett und einen zischen taten die halt auch ganz gern!
Stress gab es da nie. Nein, es waren bislang immer ausgesprochen harmonische Abende gewesen. Bis eben zu jenem Freitagabend, an dem die Inge Konrad argwöhnte, ihr Hans mache der Betty Müller schöne Augen. Ganz heimlich, so dass sie und der Franz Müller es eben nicht mitkriegen! Dass die Luft bereits alkoholgeschwängert war, als der Inge diese Gedanken kamen, braucht eigentlich nicht extra erwähnt werden. Was macht man als kluge Frau um den eigenen Hauspantoffel-Casanova endgültig auffliegen zu lassen und ein für alle Mal Gewissheit zu bekommen? Richtig, einen Treue-Test!
So hat dann also die Inge Konrad den Franz Müller heimlich in der Küche, bei einem Vier-Augen-Gespräch, eingeweiht, was der Franz und die Betty so heimlich treiben. Das versetzte auch den Franz in höchste Aufregung! Und unter dem Vorwand, der Franz und die Inge würden mal schnell ein paar Pizzen beim Italiener holen, was sicher bei dem Betrieb heute eine dreiviertel Stunde dauern dürfte, ließ man die verdutzt schauenden Hans Konrad und Betty Müller auf der Kunstleder-Couch zurück und beratschlagte das weitere Vorgehen bei einigen hastig herunter gekippten Klaren in der benachbarten Eckkneipe. Ja, sagte der Franz dort, und nach jedem Schnaps wurde die Gewissheit klarer, auch der Betty sei ein Seitensprung mit dem Hans zuzutrauen! Wie die den schon immer anschaue, dass sei ihm auch schon aufgefallen! Höchste Zeit also für den von Inge vorgeschlagenen Treue-Test! Man müsse schnell vor Verstreichen der Dreiviertelstunde zurück und sturmartig in die Wohnung. Dann sei so gut wie sicher, dass die beiden gerade miteinander zu Gange wären.
Gesagt – Getan! Die Beiden schleichen sich also zurück in die Wohnung. Im Wohnzimmer sitzen derweil Hans Konrad und Betty Müller in sich geziemendem Abstand bieder auf der Couch und unterhalten sich über Gott und die Welt, als plötzlich die Tür auffliegt und Franz Müller und Inge Konrad mit zornroten Gesichtern das Zimmer stürmen. Der arme Hans weiß gar nicht wie ihm geschieht, als Franz auf ihn losstürmt und ihm erstmal ein paar Fäuste gibt, während er den Sachverhalt kurz und platt so zusammenfasst: „Na, Hans! Hätt se dir ne joode jeblose?“ Der Hans weicht zurück, stolpert über ein paar leere Bierflaschen, von denen eine zerbricht, die er aufhebt und dem weiter auf ihn einschlagenden Franz Müller entgegenhält. Man ahnt es sofort, denn nun naht das Unheil! Der ziemlich blaue Franz stolpert und taumelt in die Flaschenscherbe, wobei die Hauptschlagader am Hals verletzt wird, dass das Blut nur so spritzt. Gott sei Dank, ist die Betty Krankenschwester und weiß so die Blutung abzudrücken, dass der Franz mit knapper Not gerettet werden kann.
Soweit in dürren Worten das, was der arme Hans Konrad zur Ursache seines Haftaufenthaltes zu sagen wusste. Weshalb er deshalb wegen versuchten Totschlags in Untersuchungshaft kam und ihm wegen versuchten Totschlags beim Schwurgericht der Prozess gemacht wurde? Tja, die Betty konnte zwar Erste Hilfe leisten, aber zuvor ging ja alles so schnell, da hat sie nicht gesehen, wie ihr lieber Franz genau verletzt wurde. Außerdem war sie ja auch ein bisschen „angeschickert”! Und Franz, und sogar die Inge Konrad, wer weiß, ob es das schlechte Gewissen wegen des blödsinnigen Treue-Tests ist, die sagen bei der Polizei aus, der Hans Konrad hätte mit der Flasche absichtlich in Richtung des Halses vom Franz zugestochen. Das ist dann eben versuchter Totschlag!
Nach sechsmonatiger Untersuchungshaft fand dann der Prozess beim Schwurgericht gegen Hans Konrad statt und ich sah keinen Grund, ihm das was er sagte, nicht zu glauben. Dass es eben ein Unfall war und Franz Müller offenbar wegen des Alkoholkonsums in die zur Abwehr hingehaltene Flasche stolperte. Trotzdem gilt auch bei Juristen das Sprichwort: Vor Gericht und auf offener See ist man in Gottes Hand! Was nichts anderes heißt, dass es darauf ankommt, wem die Richter glauben. In unserem Fall, Hans Konrad, oder aber seinem ehemaligen Kumpel Franz und der Noch-Frau Inge Konrad, die sich zwischenzeitlich in der Haft von ihm getrennt hatte. Da geht es dann schon um Alles! Freispruch oder sehr lange Knast, so zwischen 3 und 5 Jahre, im Falle einer Verurteilung, sagte ich dem Hans Konrad vor dem Prozess. Er war inzwischen vollständig ergraut und wirkte um 10 Jahre vorgealtert.
Als erste Zeugen wurde Franz Müller, der den Angeklagten wie gehabt belastete und Betty Müller, die die Verletzungshandlung nicht gesehen haben wollte, gehört. Es stand von der Beweislage her quasi Unentschieden. Hans Konrad hatte seine Version erzählt, und es schien, als hörten ihm die Richter freundlich und wohl gesonnen zu, was in Schwurgerichtsprozessen durchaus nicht immer der Fall ist. Trotzdem kam alles auf die letzte Zeugin, seine Ex, Inge Konrad, an. Würde sie, die diesen fatalen Treue-Test ausgedacht hatte und den fast verbluteten Franz Müller mit hineingezogen hatte, die bei der Polizei gemachten Anschuldigungen aufrecht erhalten? Würde sie weiter behaupten, Hans Konrad habe mit der Flaschenscherbe absichtlich zugestoßen?
Es kam noch viel dicker als gedacht! Ja, sie habe eine absichtliche Bewegung gesehen! Und darüber hinaus, sei der Hans im Suff ja dauernd rabiat, auch schon gegen sie sei er gewalttätig gewesen. So ging es in einem fort! Aus Sicht der Verteidigung lief es katastrophal. Irgendwann kam es, Gott sei Dank, zu einer Pause in der Vernehmung. Als ich in dieser dicht an der vor dem Saal wartenden Zeugin vorbeilief, nahm ich deutlich merklich einen Geruch wahr, der im Gericht so wenig wie im Flugzeugcockpit zu suchen hat. Eine Alkoholfahne, die sich gewaschen hatte! Die Vernehmung der Zeugin wurde schließlich fortgesetzt, wobei ich als Verteidiger das Fragerecht erhielt. Mit dem Wissen, um das, was ich auf dem Flur gerochen hatte, konnte ich die gute Inge in der Befragung in die Zange nehmen. Immer widersprüchlicher wurden ihre Antworten dazu, wie sich die Tat abgespielt haben sollte. Stirnrunzeln und Kopfschütteln auf der Richterbank. Nach 6 Monaten Untersuchungshaft wurde Hans Konrad schließlich vom Gericht vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen und für die zu Unrecht erlittene Haft entschädigt. Mit 25 Euro pro Tag, so wie es das Gesetz vorsieht. Was letztlich die Richter bewogen hat, der Zeugin Inge Konrad nicht zu glauben und den Angeklagten freizusprechen? Schwer zu sagen, die Urteilsberatung ist geheim und nichts hiervon darf nach außen dringen. Eine Boulevardzeitung schrieb am Tag nach dem Urteil hierzu: „Auf die Frage, ob sie vor der Vernehmung etwas getrunken habe, keifte die Zeugin empört: `Herr Richter, soll ich blasen?` Allgemeine Heiterkeit im Gerichtssaal war die Folge. Und ein Freispruch für den Angeklagten.“