von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann aus Düren, zugleich Fachanwalt für Strafrecht
erschienen in der DNS 08/2015
Kennen Sie das auch? Sie haben etwas erlebt oder Ihnen ist etwas widerfahren, von dem Sie annehmen, dass die Geschichte so unwirklich erscheint, dass sie Ihnen niemand glaubt? So hat sich der ehemalige Schauspieler Patrick Naumann wohl gefühlt als er mir am 23. Januar dieses Jahres im stickigen Gefängnis von Denpasar/Bali die Geschichte seines Scheiterns erzählte.
Eine Geschichte, die ihn beinahe mit verbundenen Augen vor ein Erschießungskommando gebracht hätte. Gottlob nur beinahe, er bekam 15 Jahre Haft, 15 Jahre seines Lebens für einen Fehler, den er bitter bereut. Aber von Anfang an: Patrick Naumann hat mit seinen 48 Jahren bislang ein buntes, ein kreatives und abwechslungsreiches Berufsleben gehabt. Er war in jungen Jahren bei der Fremdenlegion, besuchte später die Schauspielschule, spielte den König „Salomon“ am Staatstheater Ulm und machte den Gesang, sein Hobby, schließlich zum Hauptberuf. Als Schlagersänger bekam er Plattenverträge, hatte ein paar Hits und kam viel rum. Deutschland, Mallorca und zuletzt die Partyhochburg Pattaya in Thailand, wo er sich am Betrieb eines bayrischen Biergartens beteiligte. Pech nur, dass er irgendwann Schutzgeld zahlen sollte, ein Problem, das dort viele Gastronome haben, aber eines, dessen sich ein dort ansässiger „Patron“ annahm. Er versprach Hilfe – und siehe da, das Schutzgeld entfiel. Gut, dachte Patrick Naumann und ihm fiel ein Stein von Herzen. Schlecht, dass am Vorabend einer bereits geplanten Urlaubsreise nach Bali, der „Patron“ bei ihm auftauchte, ihn mit einem Revolver bedrohte, ihn zwang in einem Hotelzimmer diverse Kapseln mit Kokain zu schlucken und nach Bali zu schmuggeln. Am nächsten Tag ging Flug FD 396 von Bangkok nach Denpasar. An Bord Patrick Naumann, im Bauch diverse Kapseln mit 328 Gramm Kokain und jeder Menge Todesangst. Eine Kapsel, die aufgeht, bedeutet den sicheren Tod – und dann noch die Kontrolle bei der Einreise an Flughafen! Er hat noch nie im Leben irgendeine Straftat gegangen, aber er weiß: Indonesien kennt die Todesstrafe bei Drogendelikten. Doch die Angst im Hotelzimmer vor dem Revolver des „Patrons“ war da noch größer gewesen. Bei der Einreise geht es schief. Ihm ist schlecht, er ist kalkweiß im Gesicht. Kontrolle – Drogenfund – Gefängnis. Das ist das Erlebte, von dem mir mein Mandant Patrick Naumann berichtete, und vor dem er Angst hatte, ich würde es nicht glauben. Ich war in der Tat skeptisch, habe aber in der Folge so viele Fakten erfahren und Dinge berichtet bekommen, dass ich ihm das alles uneingeschränkt abnehme. Zurück zur Eingangsfrage: Haben Sie schon einmal etwas erlebt, von dem Sie annehmen das es Ihnen niemand glaubt?
Szenenwechsel, Bali, 23. Januar 2015: Ich sitze neben Patrick Naumann in einem stickigen Raum des berüchtigten Gefängnisses Kerobokan in Denpasar/Bali. Naumann ist verzweifelt. In ein paar Wochen beginnt der Prozess, die Todesstrafe droht. Verschlimmert wird die Gemütslage durch die Haftbedingungen. Ein Moskitostich am Bein hat sich unter den gegebenen hygienischen Bedingungen zu einer riesigen eitrigen Wunde entwickelt. Ärztliche Versorgung? Fehlanzeige! Das ist ein Selbstversorgerknast, ohne eigenes Geld gehst Du vor die Hunde. Und er hat keins! Ich habe mehrfach am Tag Kontakt mit dem Auswärtigen Amt in Berlin, schließlich wird eine ambulante Behandlung der Wunde im örtlichen Krankenhaus möglich.
Die Todesangst bleibt. Indonesiens Präsident Widoko lässt neuerdings auch wieder Ausländer erschießen. Ab 5 Gramm Kokain droht die Todesstrafe. Das sieht in der Praxis so aus, dass bis zu 10 Delinquenten in einer Reihe Aufstellung nehmen müssen und 10 Schützen pro Todeskandidat aus einer Distanz von wenigen Metern das Urteil vollstrecken. Wer möchte, hat die Wahl auf die Kopfkapuze zu verzichten und sehenden Auges zu sterben. Andrew Chan hat diese Variante gewählt. Andrew, Australier, hat vor 10 Jahren ein Drogenvergehen begangen. Als ich Naumann besuche, sehe ich Chan aus wenigen Metern in die Augen, er sieht verzweifelt aus. Er soll in Kürze hingerichtet werden. Präsident Widoko hat kürzlich sein Gnadengesuch abgelehnt. Naumann hat sich mit ihm im Knast befreundet. Chan hatte ihm eine Matratze geschenkt, damit Naumann nicht mehr auf dem nackten Betonboden seiner Zelle schlafen muss. Am 29. April wird Chan zusammen mit mehreren anderen Ausländern auf der Gefängnisinsel Nusakambangan erschossen. Er war knapp über Zwanzig als er verurteilt wurde. Einunddreißig als er stirbt. Einen Tag vor der Hinrichtung heiratet er noch seine langjährige Freundin. Als der Kugelhagel beginnt, halten sich die Todeskandidaten an den Händen und singen das Folklorelied „the amazing grace“. So berichtet es später der australische Priester, der bis zuletzt Trost gespendet hat.
Ich bespreche mit Naumann, dass wir versuchen müssen ein Urteil in Indonesien zu verhindern und einen fairen Prozess in Deutschland zu bekommen. Bei Drogendelikten gilt das „Weltrechtsprinzip“, weshalb ich ihn bei der Staatsanwaltschaft Augsburg anzeige, die ein Verfahren gegen ihn eröffnet wegen „Beihilfe zum Handeltreiben mit Drogen in nicht geringer Menge“. Das ist Grundlage für ein Auslieferungsersuchen an den indonesischen Staat: Gebt uns Naumann und wir machen ihm in Deutschland den Prozess!
In der Folge beginnt parallel zu dem in Bali laufenden Prozess ein wochenlanges Ringen um eine Auslieferung nach Deutschland. Trotz Hoffnung bis zuletzt – und dem großartigen Einsatz der Sachbearbeiterin beim Auswärtigen Amt in Berlin – kommt am Ende die niederschmetternde Nachricht. Indonesien lehnt die Auslieferung ab und wird selbst ein Urteil fällen. Mitte März wird Patrick Naumann schließlich in Bali zu einer Gefängnisstrafe von 15 Jahren verurteilt. Er entgeht der Todesstrafe denkbar knapp. Wie es dazu kommt, darüber kann im Detail hier nicht berichtet werden. Patrick Naumann wird im September 49 Jahre alt werden. In Deutschland wäre er unter den gegebenen Umständen, nämlich der Bedrohung mit einer Waffe das Kokain zu schmuggeln, mutmaßlich zu einer kurzen Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Muss er die Strafe in Bali bis zum Ende absitzen, wird er bei seiner Entlassung 63 Jahre alt sein. Es gibt Hoffnung, dass es anders kommt. Demnächst wird in Deutschland ein Gesetz geändert, dass eine Auslieferung aus Indonesien nach Deutschland zur Vollstreckung der indonesischen Strafe in Deutschland vereinfachen soll. Die Geschichte ist also nicht zu Ende, denn bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Auch für einen, der auszog das Fürchten zu lernen!